
Reporterin
Gelsenkirchen. Nachdem das Ausländeramt Gelsenkirchen einen jungen Mann zurückschickte, gibt es scharfe Kritik. „Ins Kriegsgebiet schiebt man nicht ab.“
Seit einer knappen Woche ist Mukhammadshujo A. (22) wieder in der Ukraine. Nach der Abschiebung des jungen Mannes aus Gelsenkirchen übt das Projekt „Abschiebereporting“ scharfe Kritik: „In Kriegsgebiete schiebt man nicht ab.“
Der gebürtige Tadschike war am Donnerstag vergangener Woche (24. April) abgeschoben worden, nachdem er drei Monate in der Abschiebehaftanstalt gesessen hatte. Das war erwartet worden, obwohl der 22-Jährige, von seinen Freunden in Gelsenkirchen „Maga“ genannt, in einem Terrorprozess am Oberlandesgericht Düsseldorf Anfang April von allen Vorwürfen freigesprochen worden war.
Der Generalbundesanwalt hatte gegen A. und sechs weitere Männer aus Zentralasien Anklage erhoben, weil sich die Gruppe zu Anschlägen im Namen der Terror-Organisation IS verabredet haben soll. Nach einem halben Jahr Prozessdauer waren nurmehr vier Männer zu Haftstrafen, teils auf Bewährung, verurteilt worden, ein weiterer Angeklagter war zuvor bereits in seine kirgisische Heimat abgeschoben worden. Zwei Angeklagte aus Gelsenkirchen, neben dem 22-jährigen „Maga“ auch sein zehn Jahre älterer Schwager Nuriddin E., wurden freigesprochen. Auf freien Fuß kam jedoch lediglich der Ältere: Er hat Frau und zwei kleine Kinder in der Stadt; Mukhammadshujo A. indes verfügte seit seiner Festnahme im Sommer 2023 über keinen festen Wohnsitz mehr.
Eine Bestätigung des Tatvorwurfs, das hatte das OLG bereits im Januar, erklärt, sahen die Richter bei drei der Beschuldigten nicht mehr. Anders als angeklagt hatten sich konkrete Terrorplanungen gegen Stadtfeste und jüdische Einrichtungen nicht erhärtet. Wohl sah der Senat bei allen Angeklagten auch weiterhin eine radikal-islamische Gesinnung. Verteidiger der aus der Abschiebehaft Freigelassenen gehen deshalb davon aus, dass die Männer weiterhin observiert werden.
In Gelsenkirchen galten A. und auch sein Schwager E. als vollziehbar ausreisepflichtig, E. bekam inzwischen eine Duldung bis Ende Mai. Der Jüngere jedoch saß bis vergangene Woche noch allein in der Abschiebehaftanstalt Büren, musste nun Deutschland auf dem Landweg verlassen. In seine Heimat Tadschikistan schickten die Behörden ihn nicht – wegen dort drohender „menschenunwürdiger Behandlung“ von Häftlingen wird in das zentralasiatische Land derzeit nicht abgeschoben. In die Ukraine kam A. nun, weil er unmittelbar nach Ausbruch des russischen Krieges von dort eingereist war; er hatte zuletzt in Kiew gelebt.
Schon gegen eine mögliche Abschiebung aus Gelsenkirchen nach Tadschikistan hatte das „Abschiebereporting“ protestiert. Mehrere Männer seien dort zuletzt nach Rückführungen aus Deutschland zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, möglicherweise auch gefoltert worden. Aber auch die Ukraine als Zielland lehnt der Verein ab, bezeichnet sie als „Kriegsgebiet. Dort ist niemand sicher“. Zudem zeige sich: „Menschen können in Strafverfahren freigesprochen werden. Und trotzdem werden sie abgeschoben. Alle Mittel von Strafrecht und Migrationsrecht werden gegen Nichtdeutsche maximal ausgeschöpft.“
Seit die Rückführung in die Ukraine für A. im Raum stand, hatte sich das Abschiebereporting irritiert gezeigt: „Es handelt sich um die erste uns bekannt gewordene Abschiebung aus NRW in die Ukraine seit Beginn von Putins Angriffskrieg vor über drei Jahren.“ Mukhammadshujo A. selbst hatte der Rückreise in seine frühere Heimat gelassen entgegengesehen, nach mehr als eineinhalbjähriger Haft ohne Perspektiven in Gelsenkirchen hatte er gegenüber dieser Zeitung erklärt, froh zu sein über seine Freiheit. „Klar ist es gut, dass jetzt hoffentlich endlich Freiheit besteht“, sagt dazu Sebastian Rose vom Abschiebereporting gegenüber dieser Zeitung, „aber der Preis, dafür im Kriegsgebiet zu sein, ist sehr hoch.“
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