
Ltr. Lokal-Redaktion
Gelsenkirchen. Gelsenkirchen: Sie wollte sich trennen, er erstach sie. Zurück bleiben drei kleine Kinder und die Frage, wie es nach der Bluttat weitergeht.
Die Ärzte zählten 20 Stichwunden. Die Tatwaffe war ein wuchtiges Küchenmesser. Klingenlänge: 20 Zentimeter. Getroffen wurden vor allem Hals und Gesicht: Im Sommer 2024 hat ein Familienvater aus Gelsenkirchen seine Ehefrau erstochen. Die kleinen Kinder des Paares waren mit in der Wohnung. Der jüngste Sohn war erst acht Monate alt, der älteste drei Jahre. Die 20-Jährige brach auf dem Küchenboden zusammen. Doch auch dann ließ der 31-jährige Rumäne angeblich nicht von ihr ab. Laut Anklage trat er ihr noch einmal mit Wucht vor die Wange und vor die Brust. Seine Frau hatte keine Chance. Sie verblutete.
Es habe Streit gegeben. Wieder einmal. „Wir schrien uns gegenseitig an“, ließ der 31-Jährige vor Gericht vortragen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte seine Frau ermordet hat, weil sie sich von ihm getrennt hatte. Vor allem die Tritte hätten seine „deutliche Verachtung“ ihr gegenüber zum Ausdruck gebracht. Der Mann habe „nicht akzeptieren wollen, dass sie ein Leben ohne ihn führen wollte“, heißt es in der Anklage.
Ob die kleinen Kinder die Tat mitansehen mussten, ist nicht klar. Der Vater hatte sie einfach in der Wohnung zurückgelassen – neben der Leiche seiner Frau, auf die er eine Decke gelegt hatte. Dann suchte er das Weite, setzte sich ins Auto und fuhr los. „Ich wollte nur noch weg.“ Die Flucht war erst an der belgischen Grenze zu Ende. Dort waren die Beamten bereits alarmiert. Der internationale Haftbefehl war schon in der Welt. Der 31-Jährige wurde festgenommen – zwei Stunden nach der Tat.
Gelsenkirchen wurde zuletzt erschüttert von einer Welle ähnlicher Fälle, in denen Männer ihren Frauen und Ex-Freundinnen schwerste Gewalt zufügten – teils mit tödlichem Ausgang. Jeder dieser Fälle ist auf seine Weise abstoßend und grausam. Und wenn Kinder zurückbleiben, dann gilt das umso mehr. Dann beginnt auch für das Jugendamt ein sehr schwieriger Prozess.
Im Schalker Fall wurden die drei Kleinkinder sofort in Obhut genommen und mussten getrennt werden, berichtet Gelsenkirchens Jugendamtsleiter Björn Rosigkeit im Gespräch mit der WAZ. Die beiden älteren Geschwister, damals zwei und drei Jahre alt, konnte das Jugendamt gemeinsam in einer auf traumatisierte Kinder spezialisierten Wohngruppe unterbringen, für das Baby fand man vorübergehend eine Pflegefamilie. Beides nicht einfach. Denn es gibt nicht genügend Plätze für Kleinkinder, die etwas so Schreckliches miterleben mussten und auch zu wenig Pflegefamilien, die ein Kind vorübergehend bei sich aufnehmen.
Seither werden die Kinder eng vom Gelsenkirchener Jugendamt begleitet und ein entsprechend spezialisierter Mitarbeiter versucht bis heute auszuloten, ob die drei Kinder in ihr familiäres Umfeld zurückkehren können. Denn das sei letztlich immer das Ziel, wenn es denn für die Kinder gut und möglich sei. Ihr Wohl stehe immer an erster Stelle, unterstreicht Rosigkeit. Deshalb überstürzt das Jugendamt auch nichts bei der Frage, ob die drei Kinder etwa bei ihrer Großmutter mütterlicherseits leben dürfen.
Die Oma möchte ihre Enkel aufnehmen, sich um sie sorgen, ihnen ein neues Zuhause geben – nach allem, was ihnen in ihrem jungen Leben schon widerfahren ist. Ehe es dazu womöglich kommt, sieht sich das Jugendamt die Lebensumstände zunächst über einen längeren Zeitraum hinweg an. Ist die Wohnung groß genug? Wie ist die finanzielle Situation der Familie? Wie alt sind die Großeltern? Können sie auch in zehn Jahren voraussichtlich noch mit einem Teenager Schritt halten? Faktoren, die man größtenteils objektiv messen und bewerten kann.
Wichtiger aber noch ist die Frage: Sind die Kinder bei den Verwandten gut aufgehoben? „Diese Entscheidung trifft der zuständige Kollege nicht alleine. Die Einschätzung des Sachbearbeiters, die Protokolle, alles wird letztlich gemeinsam mit weiteren Kollegen nochmal durchgegangen, ehe wir entscheiden“, berichtet Jugendamtsleiter Björn Rosigkeit.
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Eine Garantie dafür, dass man zum Wohle der Kinder die richtige Entscheidung getroffen hat, gibt es nicht. Und so kommt es neben allen objektiven Kriterien eben auch stark auf das Bauchgefühl des Jugendamtsmitarbeiters an, auf seine Erfahrung und Sensibilität. Im Fall aus Schalke sieht es so aus, als könnten die drei Geschwister tatsächlich in naher Zukunft zu ihren Großeltern ziehen. Doch es gibt auch Fälle, wo keine Familie mehr da ist oder das Wohl der Kinder dort nicht garantiert wäre.
Für diese Kinder entsprechende Wohngruppen zu finden, Geschwister möglichst nicht zu trennen, das ist für die Jugendämter in der Region nicht immer einfach. „Wir brauchen mehr Plätze und mehr Personal“, sagt Rosigkeit, und meint damit nicht explizit nur das Gelsenkirchener Jugendamt. Die Herausforderungen seien im Ruhrgebiet schließlich fast überall dieselben.
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