
Hinweis: Dieser Text ist erstmals erschienen am 19. Dezember 2024. Mittlerweile befindet sich Andrea Henze in der Stichwahl mit Norbert Emmerich (AfD) um den OB-Posten in Gelsenkirchen.
Von vielen Leuten sei sie in den vergangenen Tagen und Wochen bereits gefragt worden, ob sie sich eine Kandidatur als Oberbürgermeisterin grundsätzlich vorstellen könne, leitet Andrea Henze einen Brief ein, der am Montagvormittag an die Genossinnen und Genossen der SPD Gelsenkirchen verschickt wird. „Jetzt, nachdem Oberbürgermeisterin Karin Welge erklärt hat, aus persönlichen Gründen nicht für eine erneute Kandidatur zur Verfügung zu stehen, wird diese Frage tatsächlich konkret“, schreibt Henze weiter. Es ist eine Frage, die sie später im Brief aus „voller Überzeugung“ mit einem „Ja!“ beantwortet. Vorher muss aber noch der SPD-Unterbezirk am Dienstag (10. Dezember) zustimmen, ehe der Weg frei ist für die sozialdemokratische OB-Kandidatin Andrea Henze.
In dem Schreiben spricht Henze von einem „Aufstiegsplan“, den sie für Gelsenkirchen entwickeln will. Und mit diesem Thema verbindet sie ihren Slogan: mit der Modernisierung der Stadtverwaltung. „Nicht aus einem Selbstzweck heraus, sondern um die Beschäftigten von manch einem überholten Vorgehen zu befreien“, schreibt sie. Nach 32 Jahren „in verschiedenen kommunalen Strukturen“ wisse sie, was mit einer Kommunalverwaltung möglich sei.
Andrea Henze ist seit 2021 Dezernentin für Arbeit und Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz in Gelsenkirchen. Damals galt sie als Konsens-Kandidatin ohne Parteibuch, später trat sie der SPD bei. Ähnlich wie Karin Welge gilt sie demnach nicht als typische Parteikarrieristin, mit der sozialdemokratischen Basis musste sie erst einmal ihre Bekanntschaft machen.
Von Sinan Sat
In Henzes Verantwortungsbereich fallen Ressorts, die von den Krisen der vergangenen Jahre besonders betroffen waren: Sie musste das Ende der Corona-Krise und die Unterbringung der Ukraine-Flüchtlinge managen. Mitte 2024 übernahm sie darüber hinaus vertretungsweise den großen Vorstandsbereich der schwer erkrankten Anne Heselhaus, unter anderem Dezernentin für Kultur, Bildung und Jugend.
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In der Lokalpolitik wird Henze vor allem aufgrund ihrer Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit geschätzt, sie fremdelt aber mit Parteipolitik und knackigen Statements. Repräsentanz dürfte ihr weniger liegen als Verwaltungsleitung. Sie behauptet aber: „Ich kann auch Kleingartenverein und Karneval.“
Nach Gelsenkirchen gezogen ist Henze erst kürzlich. Ins Ruhrgebiet kam die Mutter einer erwachsenen Tochter vor zehn Jahren, damals als Geschäftsführerin des Jobcenters Hagen. Die Wechsel folgten zügig: 2019 war sie Leiterin des Duisburger Sozialamtes, 2020 Chefin der Bochumer Beschäftigungsförderungsgesellschaft gGmbH, 2021 dann Leiterin des Bochumer Sozialamtes. Gelsenkirchen sollte für sie „langfristig angelegt sein“, entgegnete sie 2022 dem Eindruck, eine „Springerin“ zu sein.
Geboren wurde Henze am 3. Dezember 1975 in Dessau, wo sie auch ihre ersten beruflichen Stationen durchlief – einen Ausflug außerhalb des Sozialen unternahm sie von 2012 bis 2015 als Leiterin des Dessauer Amtes für Wirtschaftsförderung, Tourismus und Marketing. Die sachsen-anhaltische Herkunft hört man der leidenschaftlichen Wanderin an. Die Wende erlebte sie „als großen Befreiungsschlag“. Von den 100 D-Mark Begrüßungsgeld besorgte sie sich einen Walkman mit Kassetten von Madonna und Michael Jackson.
Behütet aber auch sehr leistungsorientiert ist sie nach eigenen Angaben bei ihren noch heute in Dessau wohnhaften Eltern aufgewachsen, die bis kurz nach der Wende eine Art „Tante-Emma-Laden“ mit mehreren Angestellten leiteten und die es als westlich-orientierte Menschen nicht einfach hatten unter der SED-Diktatur. Eigentlich war der Vater gelernter Dachdecker, die Mutter Bankkauffrau. Henze war die erste Akademikerin in ihrer Familie. 2000 holte sie ihr Abitur nach, seit 2003 ist sie Diplom-Verwaltungs- und Sozialwirtin, 2017 absolvierte sie den Bachelor in Politikwissenschaften, 2021 den Master in Soziologie.
Vor ihrem ersten akademischen Abschluss machte sie ihre Lehre zur Verwaltungsfachangestellten in Ludwigshafen am Rhein. Es ist die Zeit, die Henze für sich als besonders prägend beschreibt. Über eine Städtepartnerschaft sei sie damals in den Westen gekommen, „mit 16 Jahren, Hunderte Kilometer entfernt, in einer fremden Stadt“. 500 Deutsche Mark habe sie damals für ihre eigene Wohnung bezahlen müssen, bei einem Ausbildungsgehalt von 600 Mark. Ihre Eltern habe sie aber nicht um Geld fragen wollen, da habe sie ständig neue Jobs angenommen – als Bügelhilfe, Kinderbetreuerin, Bedienung. „Da habe ich gelernt, was es heißt, sich durchzubeißen und nicht aufzugeben“, sagte sie einmal gegenüber unserer Redaktion.
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