Bundespräsident bei Preisverleihung: Gelsenkirchener Gesamtschule gewinnt Deutschen Schulpreis – RP Online


Berlin · Aus über 100 Einsendungen bei der renommierten Auszeichnung konnte auch eine Schule aus NRW die Jury überzeugen – und erhält 30.000 Euro Preisgeld. Nicht nur spezielle Sprachförderung macht die Gesamtschule im Ruhrgebiet zu einem ganz besonderen Lernort.
Ehrung in Berlin: Die Musikerin Sukini (r.) übergibt den mit 30.000 Euro dotierten Deutschen Schulpreis an die Evangelische Gesamtschule in Gelsenkirchen-Bismarck.
Schon die äußere Erscheinung dürfte anders sein als in den meisten anderen Schulen im Bundesgebiet: An der Laarstraße in Gelsenkirchen-Bismarck gibt es nicht nur ein großes, unauffälliges Schulgebäude, sondern auch sechs kleinere Holzhäuschen drum herum, die in Kombination mit dem Teich und der Wiese eher an einen Skandinavienurlaub erinnern als an schnöden Schulalltag. Beheimatung sei die Idee dieser sogenannten Klassenhäuser, erklärt Schulleiter Volker Franken noch im Bewerbungsvideo um den deutschen Schulpreis: Die Fünftklässler ziehen für mindestens vier Jahre zusammen ein – so entstehe eine enge Verbindung. Nur ein Grund, warum die Evangelische Gesamtschule jetzt mit dem deutschen Schulpreis geehrt wurde.
Als „grün-bunte Oase, in der sich Schülerinnen und Schüler wohlfühlen und individuell gesehen und begleitet werden“, lobt die Jury die Schule bei der feierlichen Verleihung am Dienstagvormittag in Berlin mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. „Hier fühlt sich lernen an wie das Leben in einer WG“, sagt ein Mädchen im eingespielten Video, das die Gelsenkirchener Gesamtschule als Gewinnerin noch einmal kurz vorstellt. Fünf Mal wurde das Preisgeld von 30.000 Euro verliehen – unter anderem an Schulen aus Weimar, Hamburg und Meißen. Gelsenkirchen ist die einzige von drei Schulen aus NRW aus der Endauswahl, die ausgezeichnet wurde. Der 100.000-Euro-Hauptpreis ging an eine Grundschule in Berlin Pankow für ihr innovatives Raumkonzept. Der Sonderpreis „Demokratiebildung“ ging an ein Evangelisches Schulzentrum im sächsischen Grimma.
Hintergrund Der Deutsche Schulpreis wird seit 2006 von der Robert Bosch Stiftung und der Heidehof Stiftung für eine besonders gute Schulqualität vergeben.
Schulqualität Eine Jury aus Bildungsexperten und Schulpraktikern vergleicht bei den Bewerberschulen sechs Bereiche: Unterrichtsqualität, Leistung, Umgang mit Vielfalt, Verantwortung, Schulklima, Schulleben und außerschulische Partner sowie lernende Schule. Diese Merkmale seien als Kennzeichen für gute Schulqualität allgemein anerkannt.
Nicht nur dort, sondern auch in Gelsenkirchen ist die Evangelische Gesamtschule in Gelsenkirchen ist konfessionell und kulturell breit aufgestellt. Dass die Ruhrgebietsstadt fast immer nur in Zusammenhang mit AfD-Wahlergebnissen, Arbeitslosen- und Armutsquote oder zuletzt der Massenschlägerei Schlagzeilen macht, ist auch den Lehrkräften der Gewinnerschule bewusst. „Wir kommen aus einer Stadt, wo es nicht immer ganz einfach ist“, sagt eine Lehrerin, als sie den Preis stellvertretend mit einigen Schülern in Berlin in Empfang nimmt. „Es gibt viele Kinder, die aus schwierigen Verhältnissen kommen“, fügt sie hinzu, „ deshalb ist es uns ganz wichtig, Bildungsgleichheit für alle zu schaffen.“
Dass die fünfzügige Gesamtschule mit 1167 Schülerinnen und Schülern das besonders gut hinbekommt, befand die Jury aus Bildungsexpertinnen und -forschern. „Binnendifferenzierte Förderung, das Lernen mit Tablet und KI, Team Teaching im multiprofessionellen Team, ein effektives Classroom Management und eine individuelle Begleitung der Lernenden sind an der Schule selbstverständlich und Grundlage für einen qualitätsvollen und aktivierenden Unterricht“, so die offizielle Jurybegründung. Die Schule stelle sich der Heterogenität der Gesellschaft, die Kinder würden abgeholt und individuell gefördert. Im Alltag bedeutet das konkret: Zu Beginn der fünften Klasse findet eine Sprachstanderhebung statt und es gibt eine spezielle Förderung für Kinder mit geringen Sprachkenntnissen. Am Ende des Schuljahres erfolgt ein weiterer Test, dessen Ergebnisse nicht nur Aufschluss über den Entwicklungsstand der Kinder geben, sondern auch über die Wirksamkeit der Förderinstrumente. An der Gelsenkirchener Gesamtschuld sind 40 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund – ein noch moderater Anteil im Vergleich zu anderen Stadtteilen, besonders im Ruhrgebiet.
Ein weiterer Grund, womit sich die Gelsenkirchener Schule von anderen abhebt: Vier Stunden pro Woche steht auf dem Stundenplan „Fachfreies Lernen“, dafür gibt es den „Maker Space“ – einen buchstäblich notenfreien Raum, in dem die Schülerinnen und Schüler zu vorgegebenen Themen an selbst gewählten Forschungsfragen arbeiten. Das eigenverantwortliche Lernen im FL-Unterricht soll auch auf die anderen Fächer ausstrahlen, so die Idee. „Man erlebt jeden Tag was Neues“, sagt eine Schülerin bei der Verleihung in Berlin. „Man kann Ideen besprechen mit den Lehrern und sie dann auch umsetzen in dem Raum.“
Es ist ein Raum, von dem auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Ehrung in Berlin spricht, wenn er sagt: „Demokratie fällt einem nicht zu, man muss sie einüben.“ Nicht nur Fakten gelte es darüber zu vermitteln, wie ein Staat und eine Gesellschaft funktionierten. „Man muss praktische Erfahrungen machen, lernen, zu diskutieren und miteinander umzugehen“, so Steinmeier. Mit Nachdruck kritisiert er, dass die soziale Herkunft in Deutschland immer noch über Bildungserfolge entscheide: „Bildung öffnet jedem Menschen Türen. Leider öffnen sich die Türen in unserem System immer noch nicht für jedes Kind gleich weit und gleich leicht. Es hängt immer noch viel zu sehr davon ab, in welchem Stadtteil die Kinder aufwachsen und welchen Abschluss die Eltern haben“, so Steinmeier. Dafür gebe es mehrere, sich gegenseitig verstärkende Ursachen: Nachwirkungen der Pandemiejahre, fehlende Sprachkenntnisse bei Kindern durch Zuwanderung, überall Mangel an Schulpersonal.

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