
Hinweis: Dieser Text ist erstmals erschienen am 2. März 2025. Mittlerweile befindet sich Norbert Emmerich in der Stichwahl um den OB-Posten mit Andrea Henze (SPD).
Als „junger Bursche“, da sei für ihn schon Bochum das Ausland gewesen. Mit 20 Jahren wurde seine Welt aber plötzlich viel größer: In den Siebzigern, als Zeitsoldat, bekam Norbert Emmerich die seltene Möglichkeit, ein halbes Jahr bei der Botschaft in Thailand eingesetzt zu werden. Er lernte dort seine erste Frau kennen, brachte sie – nach der Überwindung vieler bürokratischer Hürden – mit in die Neustadt. Doch hier zu leben, erinnert sich der gebürtige Gelsenkirchener, das habe seine damaligen Frau „auf die schiefe Bahn gebracht“.
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Seine Ex-Frau sei es gewohnt gewesen, mit 20 Menschen aus der Nachbarschaft zu Abend zu essen, in Deutschland sei sie geradezu vereinsamt. „Ich habe damals gemerkt, wie schwierig es ist, wenn ein Mensch aus einem anderen Kontinent plötzlich einen neuen Lebensraum hat, wie viel Betreuungsarbeit man da leisten muss.“ Und die sei heute, wo so viele Nationen in Gelsenkirchen aufeinandertreffen, nicht mehr leistbar. „Wenn drei Kinder in einer Kita kein Deutsch können, dann bekommen sie die Sprache schnell von den anderen beigebracht. Wenn das Verhältnis umgedreht ist, geht das nicht mehr.“
Von Gordon Wüllner-Adomako
Norbert Emmerich begründet die kompromisslose Migrationspolitik seiner Partei nicht mit Slogans, er leitet sie biografisch her. Lebenserfahrung hat der Mann schließlich reichlich, der mit 72 Jahren erster Oberbürgermeister der AfD in Gelsenkirchen werden will. Einer Partei, die zahlreiche Mitarbeiter aus dem rechtsextremen Spektrum im Bundestag beschäftigt. Einer Partei, die hinnehmen muss, vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet zu werden. Einer Partei, deren Chefin in Gelsenkirchen damit sympathisiert, die Todesstrafe für pädophile Straftäter einzuführen. Und einer Partei, die 2025 erstmals stärkste Kraft bei einer Bundestagswahl in Gelsenkirchen wurde.
Von Sinan Sat
Emmerich, der bei der AfD-Aufstellungsversammlung für die Kommunalwahl am Samstag (1. März) mit 98 Prozent der Stimmen gewählt wurde, ist eines der freundlichen Gesichter dieser Partei. Er sagt Sätze wie „Hass ist ein Gefühl, das ich immer unterdrücken konnte“. Er findet es „verwerflich, wenn Azubis abgeschoben werden, die schon fünf Jahre oder länger in Deutschland sind“ und er kritisiert offen den „Populismus einiger Lautsprecher in der AfD“.
Gut findet er auch nicht alles, was die AfD-Ratsfraktion in Gelsenkirchen, der Emmerich seit 2020 angehört, in den vergangenen Jahren gemacht hat. Einige Male sei beispielsweise auf Provokationen zu persönlich und zu übermäßig reagiert worden. „Ich dagegen gehe erst einmal von dem Grundsatz aus, dass jeder in der Stadt einen guten Job macht“, sagt der bis heute selbstständige Bankkaufmann und stellvertretende AfD-Kreissprecher im WAZ-Gespräch.
Besonders aufgefallen ist Emmerich im Rat der Stadt bislang tatsächlich nicht. Dort sitzt er unter anderem im Familien- und Jugendausschuss. „Familie ist für mich alles“, sagt der Vater einer Adoptivtochter (45) und eines Sohnes (25) – die er beide zum größten Teil alleinerziehend großziehen musste. Die erste Ehe wurde geschieden, seine zweite Frau starb im Jahr 2007 an schwerem Lungenkrebs. „Für Politik“, sagt Emmerich, „hatte ich lange keine Zeit.“
Als Emmerichs Sohn in der neunten Klasse war und ein Schulauslandsjahr in Neuseeland machte, da habe er aber plötzlich mehr Zeit gehabt. Und in der globalen Politik lief gerade einiges ab, auf das er seine frei gewordenen Kapazitäten lenken konnte: die Weltfinanzkrise 2008 und die anschließende Eurokrise.
Begeistert sei Emmerich damals etwa von den Aufsätzen des Ökonomen Joachim Starbatty gewesen, der zu den frühen Mitgliedern der AfD gehörte und als Promi unter den Euro-Kritiker galt. Starbatty kritisierte unter anderem die damalige Schuldenpolitik der EU scharf – und motiviert Emmerich an einem Sonntagabend, den Online-Antrag für die AfD-Mitgliedschaft auszufüllen.
Von Gordon Wüllner-Adomako
Seit ihren Euro-Kritiker-Anfängen hat sich die AfD bekanntlich mehr und mehr radikalisiert. Norbert Emmerich sagt dennoch: „Ich würde bei keiner anderen Partei meine Heimat finden.“ Die SPD sei zu links, die CDU bedeute nur Stillstand. „Ich habe aber das Ziel, dass sich etwas verändern muss.“
Emmerich sitzt übrigens nicht nur im Familienausschuss, er macht auch Politik im Haupt- und Finanzausschuss. Naheliegenderweise. Nach dem Abschluss an der Gerhart-Hauptmann-Realschule besuchte er die damalige Höhere Handelsschule und hatte nach der abgeschlossenen Bankkaufmann-Ausbildung die Hochschulreife. Berufliche Stationen hatte Emmerich dann – nach seinem zweijährigen Einsatz beim Bundesgrenzschutz – bei der Dresdner Bank, bei den Volkswohl Bund Versicherungen, bei der Sparkasse Essen und der National Bank in Essen.
Von Gordon Wüllner-Adomako
Seit 1999 – und bis heute – agiert Emmerich von der Schonnebecker Straße aus als selbstständiger Anlage- und Vermögensberater. „Da bleibt man fit bei“, sagt der 72-Jährige. Jetzt wolle er auch „die Finanzen in Gelsenkirchen aufs ordentliche Maß schieben.“ Man könne nicht immer nur nach wirtschaftlicher Hilfe von Bund und Land zu schreien – und dann beispielsweise die Kita-Gebühren in Gelsenkirchen abschaffen, so wie es der Rat der Stadt vergangenes Jahr (letztendlich auch mit Zustimmung der AfD) entschieden hatte. „Wir müssen“, meint Emmerich, „in Gelsenkirchen finanziell unabhängiger werden.“
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