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Neue Chefin: Julia Fürst, hier bei ihrer Vorstellung im Abfallwirtschaftsausschuss, hat zuvor bei einem kommunalen Entsorger in Gelsenkirchen gearbeitet, der 2024 für negative Schlagzeilen sorgte.
Quelle: Tobias Woelki
Julia Fürst soll ab Sommer das kommunale Entsorgungsunternehmen Aha leiten. Zuvor war sie bei einem ähnlichen Unternehmen in Gelsenkirchen beschäftigt. Dort sind im vergangenen Jahr Skandale um Missmanagement, Vorteilsnahme und Drogenkonsum bekannt geworden.
Hannover. Das vergangene Jahr lief nicht gut für das kommunale Entsorgungsunternehmen: Nachrichten über Missmanagement machten die Runde. Es kam heraus, dass Müllwerker Geld für illegale Entsorgungsfahrten kassierten, dass sie im Dienst Drogen konsumierten und womöglich mit Drogen handelten. Ein Betriebsleiter nahm seinen Hut. Noch immer werden die Vorgänge untersucht.
Die Rede ist nicht vom hannoverschen Entsorger Aha, sondern von den Gelsendiensten, einem vergleichbaren Unternehmen in Gelsenkirchen. Die neue Aha-Chefin Julia Fürst hat viele Jahre für Gelsendienste gearbeitet, zuletzt als Abteilungsleiterin. Hatte sie etwas mit dem Skandal zu tun? Hat sie sich für einen höheren Posten in Hannover beworben, um sich in Gelsenkirchen möglicherweise disziplinarischen Maßnahmen zu entziehen?
Fürst bestreitet das alles. „Es gibt keine Vorwürfe gegen meine Person. Arbeitsrechtliche Konsequenzen sind nicht absehbar und auch nicht zu erwarten“, sagt sie auf Nachfrage dieser Redaktion. Die Vorgänge bei den Gelsendiensten seien im vergangenen Jahr „umfassend aufgearbeitet“ worden.
In Gelsenkirchen ist man überrascht über den Wechsel der 42-Jährigen nach Hannover. „Mit großer Verwunderung haben wir das zur Kenntnis genommen“, sagt ein Mitarbeiter der Gelsendienste, der anonym bleiben will. Wisse man überhaupt in Hannover, für welche „Organisationsmängel“ Fürst verantwortlich gewesen sei? Auch in der Gelsenkirchener Stadtpolitik ist man erstaunt. „Ich bin überrascht, dass Frau Fürst eine solch hohe Stelle bekommen hat“, sagt ein SPD-Politiker. Er halte die Betriebswirtschaftlerin aber durchaus für kompetent. Ein Vertreter der CDU ist der Ansicht, dass Fürst rechtzeitig die Reißleine gezogen habe, bevor ein Verdacht auf sie falle.
Neue Chefin, alter Chef: Der bisherige Aha-Geschäftsführer Thomas Schwarz scheidet aus, ab Sommer übernimmt Julia Fürst.
Quelle: Tobias Woelki
Was ist in Gelsenkirchen passiert? Um die Geschichte zu erzählen, muss man etwas weiter ausholen. Der kommunale Entsorger Gelsendienste kümmert sich, ähnlich wie Aha in Hannover, unter anderem um Müllabfuhr und den Betrieb von Wertstoffhöfen. Jahrelang haben die Müllwagen des Unternehmens nach ihren Abhol-Touren durch die Stadt den gesammelten Abfall zu einem Müllheizkraftwerk in Essen-Karnap gefahren. Das kostete viel Zeit. 2021 hat man das System umgestellt. Die Gelsendienste-Müllwerker machten weiterhin ihre Touren durch die Stadt, aber ein privates Unternehmen fuhr den gesammelten Müll anschließend nach Essen – ein veritabler Zeitgewinn.
SPD-Politiker aus Gelsenkirchen
Jedoch wurden die Schichtpläne nicht angepasst, sodass die Müllwagen-Besatzungen mehrere Jahre eineinhalb bis zwei Stunden Leerlauf hatten. Bekannt wurde die Lücke im Dienstplan dem Vernehmen nach erst dadurch, dass sich Müllwerker regelmäßig auf einer grünen Wiese zum Fußballturnier verabredeten. Anwohner wunderten sich über die vielen Müllfahrzeuge, die dort tagsüber parkten.
Doch damit nicht genug. Gelsendienste machte im vergangenen Jahr weitere Schlagzeilen. So sollen Müllwerker während des Dienstes Drogen genommen und auch mit Rauschmitteln gehandelt haben. Zudem sollen Gelsendienste-Mitarbeiter Supermärkte und Imbisse außerhalb der Reihe angefahren haben, um dort gegen Schmiergeld gewerblichen Müll abzuholen.
Stadtpolitiker in Gelsenkirchen mutmaßten, dass es einen Zusammenhang gebe zwischen dem Leerlauf im Dienst und den illegalen Machenschaften. Das hat die Betriebsleitung stets bestritten. Am Ende nahm Betriebsleiter Daniel Paulus seinen Hut.
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Das Entsorgungsunternehmen wird nun kommissarisch vom zuständigen Dezernenten Simon Nowack geleitet. Der hat mit der Aufarbeitung der Vorgänge begonnen und sich Hilfe von externen Wirtschaftsprüfern geholt. Diese Arbeiten seien weitestgehend, jedoch noch nicht vollständig abgeschlossen, teilt Gelsendienste auf Nachfrage mit.
Müllabfuhr: In Gelsenkirchen hatten Müllwerker ein bis zwei Stunden Leerlauf, weil ihre Schichtpläne nicht umgestellt wurden.
Quelle: Caroline Seidel/dpa
Im Zuge der internen Ermittlungen wurde mehreren Mitarbeitern „anlassbezogen“ gekündigt – wegen Drogenkonsums und Vorteilsnahme im Dienst. Betroffen seien hauptsächlich Personen aus der Abteilung für Kreislauf- und Entsorgungswirtschaft, wie das Unternehmen auf Nachfrage mitteilt. Leiterin der Abteilung ist seit 2020 Julia Fürst. Sie soll auch für die Planung von Schichten und Touren verantwortlich gewesen sein.
Kürzlich hat sich Fürst im hannoverschen Abfallwirtschaftsausschuss vorgestellt. Sie betonte, eine KI-basierte Tourenplanung eingeführt zu haben. Das sei „sehr geräuschlos abgelaufen“, sagte sie. Dennoch stellt sich die Frage: Hat sie es 2021 versäumt, Dienstpläne rechtzeitig umzustellen, um Zwangspausen für Müllwerker zu vermeiden? Fürst sagt dazu: „Die Gelsendienste befanden sich zum damaligen Zeitpunkt in einem Neustrukturierungsprozess.“
Man kann sich weiterhin fragen, ob bei der Stellenbesetzung in Hannover solche Hintergründe bekannt waren. Ja, heißt es vonseiten der Regionsverwaltung. „Julia Fürst hat im Verfahren zudem aktiv über die Vorgänge bei ihrem bisherigen Arbeitgeber informiert“, sagt ein Regionssprecher und betont: Gegen Fürst hätten sich zu keinem Zeitpunkt Vorwürfe ergeben. Sie verfüge über hervorragende Referenzen und habe in der Branche einen guten Ruf. Im Juli tritt sie ihre Stelle bei Aha an.
HAZ
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