
Redakteurin Lokal
Gelsenkirchen. Eine Gelsenkirchener Familie verzweifelt bei der Anmeldung ihres Sohnes an die weiterführende Schule: „Eltern dürfen nicht resignieren.“
In Gelsenkirchen gibt es ein Problem mit den Schulplätzen – nicht nur die Grundschulen platzen zum Teil aus allen Nähten, auch bei den weiterführenden Schulen. Vor allem an einigen, weil sehr beliebten Gesamtschulen, hat sich in der Vergangenheit bereits abgezeichnet: Es wird eng.
Die nackten Zahlen sind sicherlich ein Zeichen dafür, besonders auf die Plätze der Evangelischen Gesamtschule Bismarck und der Gesamtschule Erle gibt es seit Jahren einen regelrechten Run. Besonders groß sind Enttäuschung und Frust demnach auch bei allen Eltern und Kindern, die an ihrer Wunschschule abgelehnt werden. Wie sich das anfühlt, darüber konnte die WAZ mit einem Vater sprechen. An die Öffentlichkeit zu gehen, war für Michael Behrendt eine ganz bewusste Entscheidung: „Es ist wichtig, dass die Leute auch mal sehen, was es für Probleme gibt“, sagt er.
Der Familienvater hebt einen weiteren Punkt hervor: „Das soll auch ein Anstoß sein für Eltern, sich starkzumachen. In meinen Augen resignieren viele zu schnell“, sagt der 55-Jährige. Behrendt hatte sich sogar mit einem Brief an OB Karin Welge gewandt, bekam auch eine Antwort, die ihn aber wenig zufriedenstellte. Grundsätzlich fühlt er sich „abgetan“, hätte mehr erwartet, von allen Beteiligten.
Worum geht‘s? Für Behrendts Sohn steht nach den Sommerferien der Schulwechsel von der Grundschule an die weiterführende Schule an. Von seiner Grundschule hat er eine Empfehlung für die Realschule bekommen. Michael Behrendt und seine Frau hatten sich bereits im Vorfeld informiert und sich Schulen angesehen, ihre Wahl fiel aus mehreren Gründen auf die Gesamtschule Erle.
Michael Behrendt und seine Frau sind in Vollzeit bei der Bogestra beschäftigt, sie benötigen für ihren Sohn also im besten Falle einen Platz an einer Ganztagsschule. Außerdem wohnt die Familie ganz in der Nähe der Gesamtschule Erle, ein weiterer Punkt. Zu der Geschichte rund um die verzweifelte Schulanmeldung gehört indes auch: Behrendts Sohn hat ADHS, muss an mehreren Tagen in der Woche Termine etwa bei der Physio- oder Ergotherapie wahrnehmen. Um alles unter einen Hut zu bekommen, nehme Behrendts Frau unbezahlten Urlaub, sagt er.
Doch von der Gesamtschule Erle gab es keine guten Nachrichten: Mitte Februar erhielten die Eltern den Ablehnungsbescheid. Auch in diesem Jahr würden die Anmeldezahlen die Aufnahmekapazität überschreiten, hieß es darin. Und auch, dass von den angemeldeten 318 Schülerinnen und Schülern lediglich 140 aufgenommen werden konnten – unter bestimmten Aufnahmekriterien: dem der Leistungsheterogenität (sie ist zentraler Bestandteil des pädagogischen Konzeptes an Gesamtschulen) und dem des sich anschließenden Losverfahrens. Alle angemeldeten Kinder wurden in drei Leistungsgruppen eingeteilt, innerhalb der Gruppen kam dann das Losverfahren zum Einsatz. Behrendts Sohn ging leer aus.
Auf Nachfrage der Redaktion erklärt der Schulleiter der Gesamtschule Erle, Andreas Lisson, die Hintergründe: Lisson verweist auf das Schulgesetz, darauf, dass es bis zu sechs unterschiedliche Kriterien gebe, die die jeweilige Schule, wenn es um den Erfolg einer Anmeldung geht, anwenden kann. Ein Beispiel: Die Bevorzugung von Geschwisterkindern. „Wir haben 1400 Schülerinnen und Schüler, wenn wir dieses Kriterium anwenden würden, wären die Klassen sofort voll“, erklärt Lisson. Man habe sich für das Kriterium der Leistungsheterogenität entschieden, und das gelte dann „grundsätzlich für alle Kinder“, sonst sei das Verfahren anfechtbar.
In diesem Jahr mussten sie an der Gesamtschule Erle so viele Kinder mit Gymnasialempfehlungen ablehnen wie noch nie, berichtet Lisson auch. Der Schulleiter ist sich bewusst: „Egal, wen ich ablehne, da gibt es immer Enttäuschung und Frustration.“ Und er fügt hinzu: „Ich finde es persönlich auch schlimm und tut mir immer sehr leid. Für uns ist das sehr belastend.“ Allein: Schulen wie die Gesamtschule Erle werden somit auch ein Stück weit Opfer ihres guten Rufs. Denn die Anmeldezahlen steigen dort von Jahr zu Jahr.
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Weiteres Problem: Eigentlich warten sie an der Mühlbachstraße in Erle schon seit Jahren auf einen beschlossenen Neubau, die Inbetriebnahme eines Erweiterungsbaus war bereits für 2021 angekündigt. Doch getan hat sich noch immer – nichts! Als Gründe führt die Verwaltung „fehlende Personalressourcen“ und eine „zu hohe Aufgabendichte“ an. Auch die Kosten für die Maßnahme sind mittlerweile explodiert: Die ursprüngliche Baukostenschätzung in Höhe von 8,5 Millionen Euro ist inzwischen auf 21 Millionen Euro gestiegen.
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Für Michael Behrendts Sohn spielt das allerdings nun keine Rolle mehr: Ab Ende August und somit nach den Sommerferien wird er die Realschule an der Mühlenstraße in Buer besuchen, dort hat er einen Platz bekommen. Die Geschichte geht für die Familie also doch noch recht wohnortnah und einigermaßen versöhnlich aus.
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